Meine 11 Minuten MTB Marathon WM in der Schweiz
Ob die Mountainbike Weltmeisterschaften und Ich jemals Freunde werden? – Ein Rückblick der WM 2019
Die UCI MTB Marathon Weltmeisterschaften fanden dieses Jahr im schweizerischen Grächen, einem kleinen Bergdorf im Kanton Wallis statt. Dieses gehört zum schönen Ort Sankt Niklaus und befindet sich auf etwas über 1600m ü. NN. Mit einen einmaligen Blick auf das bekannte Matterhorn lässt sich erahnen – hier gibt es nur zwei Fahrtrichtungen, bergauf und bergab!
Das bestätigten auch die Eckdaten der Kursbeschreibung. 95km und 4000 Höhenmeter. Wie für mich gemacht. Die Anreise nach Grächen erfolgte 5 Tage vor dem Wettkampf. So konnte die Strecke abgefahren und eingeprägt werden. Zudem gewöhnt man sich an die Höhenluft – denn diese sollte man nicht unterschätzen. Somit wurden die Zeit von Mittwoch bis Samstag intensiv genutzt!
Der Tag der Entscheidung. Mit der Startnummer 100 befinde ich mich im Mittelfeld des mit 185 Startern besetzten Feldes.
Nur noch wenige Minuten bis der Startschuss um 10:00 Uhr fällt. Die Aufregung ist jedem anzumerken. Jedes mal aufs neue erstaunlich – die Stille, wenige Sekunden vor dem Start. Jeder sollte dies einmal miterlebt haben, Gänsehaut pur! Sekunden bevor der Startschuss ertönt könnte man eine Stecknadel auf mehrere Kilometer entfernt fallen hören – so stark ist der Fokus der Fahrer.
Peng! Der Startschuss ertönt und die Fahrer sprinten los. 150 Meter vor uns wartet eine 120° Kurve in die Jeder als erstes einfahren will. Bei dieser Masse an Fahrern hat es jedoch keine 50 Meter gedauert und die ersten lagen – natürlich kurz vor mir auf dem Boden. Also ging es direkt in die Eisen. Zack… fuhr mir ein Fahrer in das Hinterrad, zum Glück ist nicht passiert – jedoch habe ich wichtige Plätze verloren.
Der Start-Loop in Grächen ist ca. 6 Kilometer lang und mit einem für die örtlichen Verhältnisse kleinen Anstieg von 200 Höhenmeter gespickt, sodass sich das Feld etwas sortieren kann. Am ersten Messpunkt nach 4 Kilometer war ich mit Platz 83 nicht optimal platziert, aber auf das was dann kommen sollte, hätte ich gerne verzichtet. Das langgezogene Feld ging bei Kilometer 4 in die erst kleine Abfahrt. Aufgrund der vielen Fahrer und der trockenen Bedingungen war diese sehr staubig und die Sicht war alles andere als gut.
Puff – ich hörte es knallen, aber nicht bei mir, sondern bei meinem Vordermann, nur Millisekunden später hörte ich einen weiteren Knall – das Vorderrad verlor abrupt Luft und die Dichtmilch der Reifen wurde durch die Luft geschossen. Was wird es wohl sein? Vorderrad zerschossen! Mein Vordermann, Hansueli Stauffer aus der Schweiz hat es noch etwas schlechter getroffen als mich, ihm ist die Felge durchgebrochen. Also hieß es, einen Schlauch in den Reifen zu ziehen und den stark beschädigten Reifen provisorisch fahrbar machen. In der Zwischenzeit sind natürlich einige Fahrer an mir vorbei gerauscht und der Besenwagen, oder in diesem Fall der Besen-Ebike-Fahrer Stand schon bei mir und redete mir gut zu. Nach knapp über 15 Minuten war das Vorderrad provisorisch fahrbar. Die Abfahrt ging es trotzdem im Schneckentempo herunter, bei Position 180 ist auch nicht mehr viel zu holen. In Grächen selbst habe ich nochmal eine kurze „Rast“ bei einem Anwohner gemacht. In der offenen Garage hatte ich aus dem Augenwinkel einen Kompressor gesehen – wie praktisch sowas sein kann, besonders für die bevorstehende Abfahrt mit ca. 800 Tiefenmeter zur Technik Zone. Denn dort kann ich meine Laufräder – Betreuer sei Dank – tauschen und das Rennen zumindest zu Ende fahren. Sicherheitshalber habe ich sowohl das Vorderrad und das Hinterrad getauscht. Aufgrund der Zeitmessung konnte ich im Nachhinein verfolgen wieviel Zeit ich eigentlich durch den Defekt verloren habe. Es waren fast auf die Sekunde 21 Minuten.
Die Devise: Kopf nicht hängen lassen und Vollgas geben, sind ja immer noch knapp 80 Km und etwa 3800 Höhenmeter auf mich. Ich war echt motiviert. Die Strecke und die Organisation war phantastisch. Im ersten Anstieg befanden sich noch unzählige Zuschauen. Sie feuerten mich an als wäre ich der Führende. Ich hatte Gänsehaut, denn Sie rufen meinen Namen. Los Sascha! Ich konnte kaum meinen Ohren trauen. Die Alpen haben schon atemberaubende Abfahrten und durch meinen Rückstand hatte ich diese fast für mich alleine. Die Form war klasse. Ich begann tatsächlich schon nach 23 Km Fahrer auf zu fahren – jetzt war ich schon auf Position 177. Besonders im nächsten Anstieg konnte ich richtig Boden gut machen. Hier hat ein Anstieg übrigens um die 1000 Höhenmeter, also etwas mehr als im üblichen Odenwald. Für alle Radsportverrückten noch ein paar Daten am Rande – nach 2,5h Fahrzeit sollte man die 1000 Höhenmeter noch mit guten 5,2 Watt/Kilo fahren können, damit man sich inzwischen von Platz 177 auf 131 vorarbeiten kann. Dank der exzellenten Verpflegung durch unsere Freunde und Betreuer konnte ich die Leistung bis zum letzten Aufstieg aufrecht erhalten. Der hat es nämlich nochmal ordentlich in sich. Am Fuße des letzten Anstiegs, bei Kilometer 78, hatte ich schon eine Fahrzeit inkl. meiner Standzeit von 4:10 Std in den Beinen. Übrigens bin ich schon an Position 111 – somit bin ich wieder in der Region meiner Startnummer 100. Hier geht es von 899m Ü. NN. auf 1670m Ü. NN. Wobei besonders die letzten 500 Meter des Anstiegs eine Durchschnittssteigung von 25% und in der Spitze knapp über 40% haben. Schon verrückt wenn man dafür 5:22 Min braucht – für den Streckenabschnitt bin ich hier übrigens zeitlich unter den Top30 der WM-Teilnehmer. Das liegt auch daran, dass ich den Anstieg noch fahren konnte – die Beine haben selten so geschmerzt. Dutzende Fahrer mussten hier schieben, daher war ich inzwischen auf Position 96 vorgerückt. Jetzt sind es nur noch wenige Kilometer ins Ziel – es ist fast geschafft. Auf der Ziellinie wurde ich noch von einem Fahrer „übersprintet“.
Im Ziel angekommen – geschafft – Freude, Erleichterung aber auch Enttäuschung und Frust machen sich gleichermaßen über meine Gefühlslage breit. Platz 55 wäre ohne mein Defekt möglich gewesen. Hätte, hätte Fahrradkette.
Was ein Erlebnis. Jeder der die Chance einmal wahrnehmen kann, sollte es machen! Es ist unvergesslich. Ob die Mountainbike Weltmeisterschaften und Ich aber nochmals Freunde werden? – für 2020 weiß ich es noch nicht.